Im Matthäusevangelium wird die Zeugung Jesu als Erfüllung der Emmanuel-Prophezeiung des Propheten Jesaia dargestellt („Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären; und sie werden ihn Emmanuel nennen, dies ist übersetzt: Mit/ Inmitten von uns [ist] Gott.“). Dies ist insofern erstaunlich, da unmittelbar vor dieser Textstelle im Evangelium erwähnt wird, dass ein Engel des Herrn Josef befahl, das Kind Jesus und eben nicht Emmanuel zu nennen („Sie wird einen Sohn gebären und du sollst ihn Jesus nennen, er wird nämlich sein Volk von seinen Sünden retten.“). Wie kann nun Jesus (Gott [ist] Rettung) die Prophezeiung des Emmanuel (Mit/ Inmitten von uns [ist] Gott) erfüllen?

Die Lösung des Problems scheint mit der Textstelle in Verbindung zu stehen, wonach (wörtlich übersetzt) sie [Maria] gefunden wurde, [etwas] im Bauch zu haben vom heiligen Geist. Diese Beschreibung würde zu dem Namen Emmanuel passen, denn Gott (der heilige Geist) ist inmitten von uns (im Bauch). Man vergleiche dies auch mit der Namensgebung der Jakobssöhne anhand der Gedanken oder Eingebungen der Mütter im Buch Genesis.

Hier bei Emmanuel stellt sich allerdings die Frage, wer diesen Sachverhalt denn „gefunden“ hat. Vermutlich wird es so gewesen sein, dass Maria ihre Schwangerschaft selbst bemerkt und dies als Erfüllung der Ankündigung des Engels Gabriel angesehen hat (vgl. Lukasevangelium) und dann gab es wohl ein Gespräch mit ihrem Verlobten Josef, bei dem sie erwähnte, ein Kind vom heiligen Geist empfangen (im Bauch) zu haben. Dieses Gespräch in der jungen Familie könnte dann als die buchstäbliche Erfüllung der Prophezeiung des Emmanuel angesehen werden, denn die Prophezeiung legt den Zeitpunkt der Namensgebung nicht fest. Allerdings hat Josef diese ursprüngliche, vorgeburtliche Namensgebung Marias auf Anweisung des Engels des Herrn hin „überstimmt“ und das Kind nach der Geburt Jesus genannt.

Wenn diese Interpretation richtig sein sollte, wäre es erstaunlich, dass Josef der Aussage seiner Verlobten offenbar nicht geglaubt hat, sondern sie heimlich entlassen wollte. Es wäre allerdings nicht das einzige Beispiel für die unkonventionelle Erfüllung einer Messiasprophezeiung durch Jesus, denn auch die vorhergesagte Geburt in Bethlehem wurde zwar buchstäblich erfüllt, trotzdem war Jesus allgemein als Jesus von Nazareth bekannt und nicht als Jesus von Bethlehem, weil seine Familie sich danach in Nazareth niederließ.